So wurden wir also verschleppt. Wie Gepäck verstaut auf Pferden führten diese Bastarde uns immer tiefer in den Wald. Ich hatte manchmal Mühe mein Gleichgewicht auf dem Pferd zu halten; meinem Bruder Isatis, der direkt vor mir saß, erging es ähnlich. Bei der Durchquerung des Flusses Lea hätte es ihn fast vom Pferderücken gerissen. Wir reisten drei Tage und rasteten die Nächte. Unsere Fesseln schnitten sich tief in unser Fleisch. Wir alle hatten Schmerzen, die nur schwer zu ertragen waren. Während Isatis und Fercus um Gnade winselten, versuchte ich alles zu unterdrücken. Schmerzen, Wut, blinden Hass und sogar meine Gefühle für Lady Nia. Nichts durfte meinen Verstand vernebeln. Tag und Nacht zermarterte ich mir das Hirn über einen Fluchtplan. Allerdings hatte jede Alternative einen Haken. Wie sollte ich alle retten?! Vier Damen, einen todkranken, einen verwundeten Ritter und uns fünf Knappen? Eine Rettung erschien somit schwer aber nicht aussichtslos.
Das änderte sich mit dem dritten Tag unserer Gefangenschaft. An diesem verließen wir den Wald und kamen zur Küste, wo ein Boot auf uns wartete. Ein Boot? Ja, ein Boot. Wohin wollten uns diese Söhne einer Sau verschleppen? Nach Europa? Eine Flucht erschien mir plötzlich ausgeschlossen und meine letzte Zuversicht verließ mich. Meinen Gefährten ging es ähnlich. Lady Nia sah besorgt aus, wie all die Tage seit dem Überfall. Wenigstens wurde sie einigermaßen adäquat behandelt. Trotz Schmutz, Erschöpfung und Strapazen hatte sie nichts von ihrer Schönheit eingebüßt. Ihr Stern strahlte noch immer als hellster seiner Art am Abendhimmel. Wir legten ab und die Gischt des Meeres schäumte um den Bug. Verließen wir unser Heimatland? Für den Rest unseres Lebens? Keiner konnte eine Antwort geben.
Der nächste Morgen brachte Land zu unserer linken Seite und die erleichternde Erkenntnis, dass wir uns nur an der Küste Richtung Norden bewegt hatten. Wir steuerten auf den Strand zu, wo eine Art Anlegestelle zu sein schien. Dahinter ragte eine Kliffküste empor, auf deren Spitze eine Burg ihr Antlitz erhob. Dort sollten wir hingebracht werden. Es war eine Befestigung der Sachsen. Ein Hort für ihre dunklen Raubzüge. Ich verachte dieses Volk, ihre Sprache, ihre so genannte Kultur. Das alles ist mir zuwider. Die Burg bestand aus dem unteren Ring, der ein großes Tor zur Außenwelt hatte und einem erhobenen inneren Ring, um den ein Graben verlief und in dessen Mitte sich ein Turm samt einer daneben gelegenen Halle befand. Der obere Ring war durch eine Zugbrücke und einer Palisade mit Wehrgang vom unteren Ring getrennt. Ich versuchte das alles aufzunehmen, während mich die Barbaren durch die Örtlichkeiten stießen.
Wir wurden alle in die Halle gebracht. Dort sprach der Anführer der Sachsen zu uns, ein gewisser Aeldred. Lady Nia wurde mit ihrem Gefolge in den Turm beordert, Sir Selyf sollte eine "besondere Behandlung" bekommen und Sir Constantin und wir Knappen wurden in das in den Stein gehauene Verlies unter dem Turm gebracht. Bevor wir weggebracht wurden konnte ich noch einen Blick auf Lady Nia erhaschen, den sie wie immer nicht erwiderte. Sie konnte ihre Trauer kaum noch verbergen. In unserem Verlies angekommen kümmerten wir uns zunächst um Sir Constantin, um den es schlecht bestellt war. Es sah aus als würde er seiner Wunde ohne Versorgung in der nächsten Nacht erliegen.
Gegen Abend betrat Lady Nia unsere "Unterkunft". Mein Herz sprang vor Freude sie wohlauf zu sehen. Sie versorgte Sir Constantin und gab uns ein Messer, das sie aus ihren Gemächern im Turm heraus schmuggeln konnte. Wir mussten hier raus. Allein um Lady Nia aus ihrem Elend zu befreien. Auch wenn es mein Leben kosten sollte.
Am Abend des dritten Tages unserer Gefangenschaft hatten wir einen Plan gefasst. Wir wollten mit dem Messer und unserer zahlenmäßigen Überlegenheit die zwei Gefängniswachen überraschen und uns einen Weg aus der Burg bahnen. Alles klappte gut. Meist hatten wir aufgrund des Überraschungseffektes leichtes Spiel. Die Wachen der Sachsen fielen schnell und leise. Alles lief gut. Alles. Bis wir Sir Selyf fanden. Man hatte ihn in einen Käfig an der Spitze des Turmes aufgehängt, wo er von Raben zerfressen wurde. Er war bereits tot als wir ihn fanden. Welch grausames Schicksal. Fflergant und Fercus sahen recht mitgenommen aus. Ich hoffte nur, dass ihre Wut auch ihre Kampfkünste beflügelt, denn uns blieb nicht viel Zeit zum trauern. Doch gerade die Kampfkünste von Fercus sind sehr schwer zu beflügeln, wie sich später rausstellen sollte.
Sprüche, Tagebuch, Charaktere der Pendragon-Montagsrunde
Homepage Stefan Bohnsack, 2007, restliche Inhalte durch die Gruppe